Ypsilon oder das Unbaubare baubar machen

Käthe-Luther Kinderhaus, Wunsiedel-Holenbrunn

Kein X wollte Peter Kuchenreuther den Bauherrn vormachen. Auch kein U, sondern ein Y. Nur ein Grundriss, dem man mit etwas gutem Willen die Form eines Ypsilons zubilligen mag, versprach die Lösung des Problems, das wie folgt skizziert werden könnte: Das Gebäude des alten evangelischen Kindergartens im Wunsiedler Ortsteil Holenbrunn war marode. So marode und kaputt, dass eine Sanierung die Kosten eines vergleichbaren Neubaus deutlich überstieg. Das Ersatzgrundstück an der Talstraße, über das die Kommune verfügte, war allerdings, sagen wir, ein bisschen schwierig. Keinen Steinwurf weit von einer Bahntrasse entfernt, geplagt mit Lärm und Erschütterungen, die der Schienenverkehr in der Regel mit sich bringt, dazu bestehend aus einem schmalen Dreieck und an dessen Spitze ein viel zu kleines Trapez und zu guter Letzt, wir sind ja im Fichtelgebirge, in der Längsrichtung um ein Geschoss abfallend. Selbstverständlich waren auch die Abstandsvorschriften zum Nachbarn einzuhalten. Man versuchte einige Zeit, dieses unmögliche Grundstück loszubekommen, doch jeder Verkaufsversuch war erfolglos. Bis Kuchenreuther sich des Grundstücks annahm. Und eine Idee hatte, mit der das unbebaubare Grundstück bebaubar wurde.

Am besten sieht man die Situation auf einem Luftbild, etwa bei Google Maps. Und was Kuchenreuther daraus gemacht hat – Geometrie und Topographie perfekt ausnutzend: ein langgestrecktes, zwei- bis dreigeschossiges Gebäude längs des Winterberger Weges, etwa in der Mitte davon abzweigend, in nördlicher Richtung, ein deutlich kompakterer Bau. Letzterer eingeschossig wegen besagter Abstandsvorschriften. Beide Baukörper zusammen spannen einen kleinen dreieckigen Vorplatz auf. Ideal für eine Kindertagesstätte, für die kurzen, informellen Gespräche beim Bringen und Abholen der Kleinen beispielsweise. Das Pendant zu diesem Vorplatz Richtung Süden ist eine großzügige Terrasse, an die sich der teilweise angeschüttete, an den Rändern mit Beerensträuchern bepflanzte Freibereich anschließt. Blickt man auf das Raumprogramm dieses Kinderhauses, so sind alle für eine moderne Pädagogik erforderlichen Räumlichkeiten einer frühkindlichen Bildungseinrichtung vorhanden. Zum Beispiel die bei den Gruppenräumen zusätzlichen „Intensivräume“, mit denen man die große Gruppe teilen und auf die speziellen Bedürfnisse einzelner Kinder eingehen kann. Zur Entwicklung motorischer Fähigkeiten dienen die Boulder- und die Sprossenwand im Mehrzweckraum. Beide Wände wurden vom Schreiner gefertigt und können von einem Erzieher auf- und zugeklappt werden, wobei sie zugeklappt bündig in der Fläche liegen.

Kuchenreuthers Grundriss bringt die Räumlichkeiten in eine sinnvolle und in sich schlüssige Ordnung. Sie setzt sich aus vier Raumgruppen zusammen, wobei deren klare Positionierung auch kleineren Kindern oder Neuankömmlingen hilft, sich im Gebäude zu orientieren. Im Erdgeschoss nördlich des Foyers ist der Bereich des Personals: Dort befinden sich die in einer Kindertagesstätte stets reichlich benötigten Lager- und Vorratsräume, einen Kopierraum sowie ein Personalraum zum Rückzug, aber zur Vorbereitung von Bildungsangeboten. Das Büro der Kinderhausleitung sitzt genau in der nordöstlichen Ecke – auch um den erwähnten Vorplatz zu beobachten und so en passant den Eingang zu kontrollieren. Südlich des Foyers befinden sich die Räume für insgesamt 12 Krippenplätze: Der Gruppenraum ausgestattet mit einer Küchenzeile, einer „Geborgenheitsecke“ und – wichtig für Selbstwahrnehmung wie für Motorik – einem Spiegel mit Haltestange. Dazu ein abgetrennter Essbereich, ein Sanitärraum mit Wickelecke, ein weiterer Lagerraum sowie ein Ruheraum. Während das übrige Kinderhaus durch die Fenster belüftet wird – die am Winterberger Weg sind mit Schallschutzfenstern ausgestattet –, bekam der Ruheraum der Kinderkrippe wegen des Lärmschutzes eine eigene Lüftung.

Ein ähnliches Layout im Obergeschoss: nördlich der Hortbereich für 15 Plätze, südlich die Räume des Kindergartens für 25 Plätze. Im Hortbereich gibt es einen Werkraum zur Entwicklung feinmotorischer Fähigkeiten. Vom Foyer ins Obergeschoss führt eine Treppe, die – typisch für Kuchenreuther – als Möbel ausgeführt wurde. Im Erdgeschoss ist sie ein großer Schrank, im Obergeschoss dient sie als Garderobe, Absturzsicherung und Raumteiler. Der notwendige zweite Fluchtweg wurde als weitere Treppe ausgebildet, die im Freien vom Obergeschoss übers Erdgeschoss in den tiefer liegenden Garten führt. Für die Fassade des Kinderhauses wurde ein Wärmedämmverbundsystem verwendet. Dieses ist zwar weniger robust, es musste aber gespart werden. Der aus Gründen des Energieeinsparens glatten Fassade konnte mit einem kleinen Überhang an der Ostseite und einem reizvollen Wechsel aus feststehendem und temporärem Sonnenschutz ein wenig Tiefe gegeben werden. Wobei besagter Sonnenschutz mit einem Materialkontrast zusätzlich akzentuiert wird. Wegen der schlechten Haushaltslage Wunsiedels stand ein sehr niedriges Budget zur Verfügung. Das sieht man dem Bau auch an – etwa bei der eher sparsamen Ausstattung oder den unverkleideten, aber akustisch wirksamen Sauerkrautplatten an den Decken.

Freilich: Erst eine intelligente Planung hatte den Bau möglich gemacht. Eine intelligente Planung – d.h. eine Zusammenarbeit mit dem Nutzer – hatte sich auf die Must-haves konzentriert: Die für eine moderne Pädagogik erforderlichen, auch Zugehörigkeit vermittelnden Räumlichkeiten und Ausstattungen, die sogar richtig großzügig ausgefallen sind – besagter Spiegel, besagter Werkraum, besagte Bewegungswände, besagter kontrollierbarer Eingang, besagter Personalraum etc. pp. Dazu gehören auch, nachdem entsprechende Untersuchungen erstellt wurden, die zahlreichen Maßnahmen zum Schallschutz und die kluge Ausnutzung des Grundstücks. Die Nice-to-haves überlässt eine intelligente Planung einem späteren Zeitpunkt und eventuell besseren Bedingungen. So konnte der Kostenplan komplett eingehalten werden. Und Kinder, Eltern und Erzieher freuen sich über ein tolles Kinderhaus – das vormals unbaubare, jetzt aber gebaute Ypsilon.

STANDORT:
Talstraße 2
95632 Wunsiedel

BAUHERR:
Stadt Wunsiedel
Marktplatz 6
95632 Wunsiedel

PROJEKTLEITER:
Johannes Klose