Tradition und Moderne

Jean-Paul-Schule, Wunsiedel

Gewiss ist auch das Gebäudevolumen der Jean-Paul-Schule in Wunsiedel eindrucksvoll. Doch noch eindrucksvoller sind die verschiedenen Baukörper und deren Ausdruck von typischen Eigenschaften ihrer Entstehungszeit. Das geschieht auf jeweils höchst individuelle und gleichzeitig äußerst prägnante Weise, so dass jeder Baukörper einen präzisen Zeitzeugen, der gesamte Gebäudekomplex dagegen eine ebenso komplexe wie spannungsreiche Collage darstellt. Etwa der 1929 eingeweihte Altbau, eine sehr originelle Mischung aus Klassizismus und Expressionismus, aus Heimat- und Jugendstil mit ebenso wunderschönen wie hochwertigen Details. Völlig unverständlich, warum dieser bemerkenswerte Bau nicht unter Denkmalschutz steht. Die 1974 eröffnete Grundschule dagegen beeindruckt durch Raum – durch räumliche Großzügigkeit, durch spannende räumliche Situationen und Verschränkungen. Und vor allem durch ihre Ehrfurcht gebietende, dreieinhalb Geschosse hohe Aula, die auch „Dom“ genannt wird. Die zeitgleich entstandene Turnhalle hat ein ansehnliches Mero-Raumfachwerk aufzuweisen, während die Decke der Schwimmhalle mit wellenförmigen Betonelementen gestaltet ist. Nur die 1967 fertiggestellte Mittelschule fällt gegenüber den anderen Bauvolumina etwas ab. Bis auf das ebenfalls sehr zeittypische Sgraffito des Wunsiedler Künstlers Günter Rossow an der Fassade zur Egerstraße kann die Schule – architektonisch – wenig Besonderheiten aufweisen.

Anfang der 2010er-Jahre wurden die energetischen und sicherheitstechnischen Probleme der Jean-Paul-Schule deutlich. Die kaum gedämmten Betonfertigteil-Fassaden von Grund- und Mittelschule erwiesen sich als Energiefresser, das räumliche Gefüge entsprach schon lange nicht mehr den brandschutz-technischen Anforderungen. Allerdings, angesichts der demographischen Prognosen, die einen drastischen Bevölkerungsrückgang voraussagten, gab es ein Ringen, ob die Schule im bisherigen Umfang saniert oder ob sie sich flächenmäßig nicht besser – dem verringerten Bedarf entsprechend – verkleinern sollte. Doch Karl-Willi Beck, der damalige Bürgermeister Wunsiedels, benötigte eine gut funktionierende und differenzierte Bildungslandschaft für seine zahlreichen Initiativen, die für den Wiederaufschwung der Kommune sorgen sollten. Er konnte sich durchsetzen, errang bei der Staatsregierung einen Zuschuss zu den Baumaßnahmen von 90 Prozent und konnte am 27. Juni 2013 verkünden: „Das ist ein ganz wichtiger Tag für Wunsiedel.“ Beck meinte damit den feierlichen Auftakt zur Generalsanierung der Jean-Paul-Schule vor zahlreichen Gästen.

Die Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft aus Dömges Architekten und Büro Kuchenreuther, die mit der Planung und Bauleitung dieser Sanierung beauftragt wurde, war nicht einfach. Einerseits ging es um den Erhalt vorhandener Qualitäten und damit der Unverwechselbarkeit der Schule, anderseits um eine dringend notwendige Modernisierung aller Gebäudeteile – bei einem wegen der knappen Kassen der Kommune eher schmalen Budget. So erhielten alle Baukörper eine neue Fassade aus Faserzementplatten in verschiedenen Gelbtönen (für die Grundschule) bzw. Blautönen (für die Mittelschule) und einer 25 Zentimeter starken Mineralwolldämmung. Die Brüstungen auf der Südseite der Turnhalle und der Grundschule erhielten Photovoltaik-Elemente, die auch auf dem Dach zu finden sind. An der Fassade der Mittelschule wurde die Fläche des erwähnten Sgraffitos ausgespart. Die Wand, auf die es aufgetragen wurde, erhielt eine Innendämmung. Auch der Altbau wurde ordentlich gedämmt: 20 Zentimeter Mineralwolle, allerdings nicht hinter der Eternitverkleidung, sondern hinter Putz. Das Ergebnis all der energetischen Maßnahmen ist, dass die fünf Baukörper der Jean-Paul-Schule den Passivhausstandard erreichen.

Es ist dem besonderen Einsatz Peter Kuchenreuthers zu verdanken, dass der Skulpturenschmuck, das aus Kösseine-Granit bestehende, imposante Portal und die steinernen Fenstergewände und Gesimse des Altbaus nicht unter der dicken Dämmung verschwanden, sondern erhalten blieben. Der gelernte Steinmetz setzte sich durch: Die erwähnten Bauteile wurden energetisch entkoppelt vor die Fassade gesetzt, was bei den Skulpturen, die vorher jeweils von einem eingemauerten Granitblock gehalten wurden, ziemlich aufwändig war. Auch die eleganten Wandverkleidungen und die fast luxuriösen Zierbrunnen aus rotem Marmor im Treppenhaus des Altbaus wurden akkurat ausgebessert und, wo kaputt, ersetzt. Die Granitstufen dagegen wurden nur abgesäuert und, wo der Belag abgelaufen war, mit dem Stockhammer neu bearbeitet. Die alten Holztüren ließen die Architekten aufarbeiten, selbst vielfach übersehene Details wie abgeschrägte Türgewände erhielten ihre Aufmerksamkeit und wurden sorgsam wiederhergestellt. Nur der Linoleumbodenbelag im Altbau, in dem nun die Verwaltung der Mittelschule und die Fachräume untergebracht sind, wurde erneuert, sein hölzerner Vorgänger liegt aber noch darunter.

Große Sorgfalt verwendeten die Planer auch, um die erwähnte räumliche Großzügigkeit der Grundschule zu erhalten. Dazu wurde unter anderem ein neuer Erschließungsturm im Osten angesetzt, der den zweiten Rettungsweg darstellt. Zwar musste das Gebäude in Rauchabschnitte unterteilt werden, aber das passierte lediglich mit großen Glasformaten und dünnen, schwarzen Profilen. Mit der Folge, dass die Raumtrennungen zwar sichtbar sind, aber ganz selbstverständlich wirken. Zwischen einer Vielzahl von Klassenzimmern wurde ein Stück Wand aufgebrochen und Türen – sogenannte Bypass-Türen – gesetzt, die ebenfalls als Rettungsweg dienen. Die charakteristischen Ziegelwände in Grund- und Mittelschule blieben dagegen erhalten. Die Klassenzimmer selbst bekamen eine Mediensäule, neues Mobiliar und sogar eine White Wall, womit sie für digitalen Unterricht vorbereitet sind. Darüber hinaus wurde jedes Klassenzimmer mit den entsprechenden Möglichkeiten nach dem Amok-Sicherheitskonzept ausgestattet.

Die Turnhalle wurde bis auf den Rohbau zurückgebaut. Sie erhielt einen neuen Schwingboden, neue Prallwände, neue Garderoben und neue Sanitäreinheiten. Die Decke zeigt nach wie vor das typische Raumfachwerk aus grün geschichteten Stahlrohren, sie wurde aber darüber hinaus mit einem Ballnetz und mit schallabsorbierenden Deckensegeln, sogenannten Akustik-Baffeln, bestückt, die den störenden Nachhall reduzieren. Auch in der Lehrschwimmhalle, die auch anderen Schulen und der DLRG zur Verfügung steht, wurde vieles erneuert. Das Schwimmbecken, das mit einem Hubboden zu einem Lehrschwimmbecken umfunktioniert werden kann, erhielt beispielsweise eine neue breite Treppe, um den Einstieg zu erleichtern. Die einleitend erwähnten „Betonwellen“ an der Decke und die mit einem pastellfarbenen Fliesenmosaik geschmückte Wand blieben dagegen bewahrt. Die Außenanlagen wurden im Sommer 2021 fertiggestellt.

„Tradition und Moderne“ ist ein immer neues und ein immer konfliktträchtiges Thema in der Architektur. Bewahren oder/und Erneuern, Erinnerung oder/und technische Aufrüstung, Erbe oder/und Zukunftsfähigkeit: In der Jean-Paul-Schule gelang den Planern mit einem differenzierten, auch auf Details achtenden Konzept aus dem „oder“ ein „und“, aus dem Gegensatz ein Miteinander zu machen. Die Schüler und die Lehrer der Jean-Paul-Schule haben die Möglichkeit, sich die Vergangenheit ihrer Schule anzueignen und sie für ihren weiteren Lebensweg zu nutzen. Den Architekten ist es gelungen, die vorhandenen Qualitäten der einzelnen Bauvolumina des Komplexes zu stärken und die nötigen, teilweise auch gesetzlich geforderten Anpassungen an Gegenwart und Zukunft sensibel zu leisten. Die Farbwahl der Fassadenverkleidung, die zunächst für Irritationen gesorgt hatte, macht den Wert von Bildung auch im öffentlichen Straßenraum deutlich. Mit den Photovoltaik-Anlagen leistet die Schule überdies einen – wenn auch kleinen – Beitrag zum inzwischen schon sprichwörtlich gewordenen Wunsiedler Weg zur autarken Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Und will man entsprechenden Presseberichten glauben, haben die digitalen Tafeln in den Klassenzimmern die JPS-Eleven schon so weit vorbereitet, dass mit zusätzlich angemieteten Tablets der Distanzunterricht während der Corona-Pandemie ohne größere Probleme ablaufen konnte.

„Häufig ist man mit der Frage konfrontiert, ob nicht ein Abriss und Neubau günstiger wäre als eine Generalsanierung – wie sie bei der Jean-Paul-Schule in Wunsiedel umgesetzt wurde. Für uns stellte es eine schöne und interessante Aufgabe dar, die große Herausforderungen bot. Die gesamten bestehenden Gebäude mit ihren speziellen Strukturen, die sie aus ihren jeweiligen Bauzeiten mitbrachten, wurden auf einen aktuellen Stand gebracht. So wurden beispielsweise neuartige Sicherheitskonzepte umgesetzt, die großzügigen Flure der 60er-Jahre-Bauten werden durch offene Teamwork-Stationen mit modernem Schulleben erfüllt. Die Gebäude bleiben dabei in Form, Inhalt und ihrer städtebaulichen Struktur bestehen und erscheinen in einem neuen Gesicht.“
Monika Vetter, Kathrin Horn und Brigitte Schnurrer, Kuchenreuther Architekten Stadtplaner

STANDORT:
Egerstraße 62
95632 Wunsiedel

BAUHERR:
Stadt Wunsiedel
Marktplatz 6
95632 Wunsiedel

PROJEKTTEAM:
Arbeitsgemeinschaft Dömges Architekten AG, Regensburg;
Kuchenreuther Architekten Stadtplaner, Marktredwitz

PROJEKTLEITER:
Uwe Gebhard,
Johannes Klose