Hoch und atemberaubend

Sanierung „Goldener Löwe“, Weißenstadt

Man kann das über 100.000 Quadratmeter große Siebenquell-Thermalresort bei Weißenstadt für seine schiere Größe oder seine nicht regional typische Architektur kritisieren. Konzedieren muss man allerdings, dass der Tourismus in der 3000-Seelen-Kommune durch das Bad einen nicht unerheblichen Aufschwung erfahren hat. Wer in der Altstadt flaniert, hört Dialekte, sieht viele Autokennzeichnen, die nicht aus Oberfranken stammen. So kann die Entscheidung der Stadt, die Uferbereiche des Weißenstädter Sees aufzuwerten und die Ruinen der Granitwerke Ackermann in einen neugestalteten Kurpark einzubinden, nur als mutig und vorausschauend bezeichnet werden. Ebenso der vom Landesamt für Denkmalpflege unterstützte Beschluss, die über Jahre leerstehende Brandruine des vormaligen Wirtshauses „Goldener Löwe“ unter anderem zur Kur- und Tourist-Information umzubauen. Denn in diesem Büro ist immer was los.

Es war in den 1990er-Jahren, als nach einer Brandstiftung ein Feuer das gerade zwei Häuser vom Rathaus entfernte Gebäude zerstörte. Lange Jahre fand man keine Nutzung für den kümmerlichen Rest, der von diesem einst stolzen Anwesen übriggeblieben war. Man fand keinen Gebäudezweck, für den sich die Investition in eine Sanierung rechnete. Bis sich die Kommune Weißenstadt der Ruine annahm – obwohl deren Kassen unter dem Druck der Finanzkrise 2007 ziemlich leer waren. Bürgermeister Frank Dreyer, der 2008 zum ersten Mal dieses Amt antrat, und der Denkmalpfleger Ulrich Kahle wandten sich an Peter Kuchenreuther. Und langsam kristallisierte sich die Idee heraus, ein Informationsbüro für die immer größere Zahl von Touristen im ehemaligen Goldenen Löwen einzurichten. Freilich, das ist nur der eine Teil der Sanierung – der sichtbarere, publikumsträchtigere, leichter zugängliche. Der zweite Teil ist das Obergeschoss, das einen Bürgersaal beherbergt. In diesem finden Sitzungen des Stadtrats statt, Vorträge, kleine Konzerte, Ausstellungen. Wie ein Wirtshaus vor wenigen Jahrzehnten noch der kommunikative Mittelpunkt eines Dorfes, eines Quartiers, eines Viertels war, so schlägt heute im sanierten Goldenen Löwen – in anderer Form, unter anderen Bedingungen – das kollektive Herz des Städtchens Weißenstadt: Hier, an diesem viel besuchten Ort, verhandelt man das Städtische, das Gemeinschaftliche.

Die Gestaltung des Ortes unterstützt dieses Anliegen. Indem die Architektur die historischen Elemente herausarbeitet, sie repariert, Störungen behebt, Eingriffe in die Substanz so weit wie möglich vermeidet, verweist sie auf die gemeinsamen geschichtlichen Wurzeln. Die heute ensemblegeschützte Altstadt Weißenstadts wurde nach dem großen Brand von 1823 mit biedermeierlichen Typenhäusern wiederaufgebaut. Der damalige Bayreuther Kreisbauinspektor Tauber hatte ein strenges, im Grunde klassizistisches Regelwerk mit einer straßenbegleitenden, traufständigen Bebauung aufgestellt, in die sich der sanierte Goldene Löwe wieder mühelos einfügt. Die historische Fassade wurde aufgewertet, der grobe, grün durchgefärbte Kratzputz wieder aufgetragen, das Dach mit ortsüblichem Schiefer neu gedeckt. Keine Plastik-, keine Alu-, sondern hochwertige Holzisolierfenster kamen zum Einsatz. Die schlicht-eleganten Fenster- und Türgewände aus Granit konnte man aufarbeiten, die mächtigen Granit-Bodenplatten wieder instand setzen und neu ausrichten. Auch die zahlreichen Gewölbe im Erdgeschoss und im Keller hat man, so weit möglich, saniert und neu verputzt.

Dagegen ist das Interieur der Touristen-Info betont modern. Weiß laminierte Holzmöbel, Glaswände und weinrotes oder schwarzes Leder dominieren die Atmosphäre. Das eigentliche Highlight des neuen Goldenen Löwen – und das ist fast sprichwörtlich zu verstehen – empfängt den Besucher, wenn er auf der sanierten Granittreppe in das Obergeschoss kommt: ein lichtdurchfluteter Bürgersaal, der wegen seines offenen Dachstuhls schillernde acht Meter hoch ist. Weil nach dem Feuer nichts mehr von dem Dach übrigblieb, hatte Kuchenreuther freie Hand, unter der traditionellen Schieferdeckung einen aufregenden Raum zu entwerfen. Mit dem 2011 verstorbenen Tragwerksplaner Jörg Wittmann entwickelte er eine freispannende Dreieckskonstruktion für ein Sparrendach aus Leimholzbindern. Damit dieses Dach ohne Stütze auskommt, sind die Auflager als Ringanker konzipiert: In Höhe der Traufe, also am Übergang von aufgehender, vertikaler Wand in die Neigung des Daches, ist ein horizontaler, gut zehn Zentimeter starker Stahlbetonbalken etwas abgesetzt in die Wand eingelassen. Weil dieser Balken an allen vier Seiten des Raumes verläuft und seine Teile kraftschlüssig miteinander verbunden sind, wirkt er wie ein durchgehender, geschlossener Gurt und kann Zugkräfte, die sich durch Schnee- oder Windlasten auf dem Dach ergeben, gegeneinander ausgleichen.

Damit nicht genug. Der Bürgersaal im Obergeschoss ist im Sinne des Baurechts eine Versammlungsstätte, die einen zweiten Fluchtweg erfordert. Das Gesetz lässt auch bei einem denkmalgeschützten, aus dem Jahre 1826 stammenden Gebäude keine Ausnahme zu. Kuchenreuther machte aus der Not eine Tugend und plante im Anschluss an den Bürgersaal eine große Freiterrasse auf geretteten Gewölben. Diese bietet nicht nur einen grandiosen Ausblick auf die Gipfel des südlichen Fichtelgebirges, sie dient nicht nur – zumindest im Sommer – bei kulturellen oder politischen Veranstaltungen als eine Art Foyer, sondern sie ist auch an eine breite freilaufende Stahltreppe angebunden, die als Nottreppe wieder ins Erdgeschoss führt.

So ist der neue Goldene Löwe hinter seinem doch bescheidenen Äußeren ein ziemlich kluges Gebäude. Er verbindet ebenso feinsinnig wie selbstverständlich Tradition und Moderne, ist gleichzeitig bauliches Erbe und blickt hochinnovativ in die Zukunft. Ohne durch Größe beeindrucken zu wollen. Und da, wo man über die Zukunft der Kommune ringt und streitet, da erhebt sich der Goldene Löwe und wird atemberaubend.

STANDORT:
Wunsiedler Straße 4
95163 Weißenstadt

BAUHERR:
Stadt Weißenstadt
Kirchplatz 1
95163 Weißenstadt

PROJEKTTEAM:
Kuchenreuther Architekten Stadtplaner, Marktredwitz
Ludwig Fröhlich, Marktredwitz
Wittmann Strukturmechanik, Marktredwitz

PROJEKTLEITER:
Ralf Köferl