Heimkehr

Werkhalle II, EFBZ Stein, Wunsiedel

Das „Europäische Fortbildungszentrum – Kompetenzzentrum für das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk“, so der volle Name der Einrichtung, ist mit dem angeschlossenen Deutschen Natursteinarchiv auf einen ganzen Komplex von meist postmodernen Gebäuden im Süden Wunsiedels verteilt. Das Zentrum geht auf die Steinfachschule zurück, die 1902 im Innenhof des Wunsiedler Rathauses als erste deutsche Fachschule für Steintechnik gegründet wurde, bevor sie Ende der 1950er-Jahre auf ein ehemals landwirtschaftlich genutztes Areal an der Straße nach Marktredwitz zog. Während seiner Ausbildung zum Steinmetz besuchte Peter Kuchenreuther dort den theoretischen Unterricht – von 1986 bis 1988. So war es für ihn eine Art erfolgreiche Heimkehr, als er 2013 den Auftrag erhielt, den vorerst letzten Baustein des EFBZ, die Werkhalle II, zu planen. Mit einem „einfühlsamen Entwurf“, wie die Frankenpost einen Vertreter des Bauherrn zitierte, „der die Handschrift eines Architekten trägt, der gelernter Steinmetz ist“. „Ein Plan“, führte Landesinnungsmeister Hermann Rudolph vom Landesverband Bayerischer Steinmetze fort, „der den Bedürfnissen von am Stein tätigen kreativen Menschen entgegenkommt“.

Nun spiegelt der 2018 fertiggestellte Bau vor allem die Spannungsfelder der Natursteinbranche wider. Er ist zugleich Künstleratelier und professioneller Steinmetzbetrieb, schafft beste Bedingungen für das analoge Handwerk und stellt zudem mit einer 5-achsigen CNC-Fräse und einem 3-D-Scanner auch die Instrumente für eine digitale Steinbearbeitung bereit. Dass der Sockel der Halle mit bruchrauen Krustenplatten aus Kösseinegranit und im ersten Stock mit glattem Naturschiefer verkleidet ist, reflektiert diese Bipolarität nach außen. Wobei das langgestreckte Gebäude nicht im postmodernen Stil des übrigen Komplexes gebaut ist. Es verwendet allerdings die in der Postmoderne neu entdeckten lokalen Materialien, trägt ein traditionelles Satteldach und lehnt sich in der Form an den ursprünglichen Bau von 1958 an. Zudem ist die Halle – wie so oft im Fichtelgebirge – parallel zu einem Hang gebaut. Mit dem Vorteil, dass beide Geschosse ebenerdig erreichbar sind. Was sich als besonders vorteilhaft erweist, denn die Steinmetzen und -bildhauer bearbeiteten dort zum Teil tonnenschwere Werkstücke. Deswegen wurde auch der Hallenboden aus Beton mit einer besonderen Bewehrung versehen, so dass etwa ein Gabelstapler oder ein Lader die Steinblöcke in die Halle transportieren können.

In der zweigeschossigen Halle finden sich 16 Arbeitsplätze, von denen jeder einzelne – zum Schutz vor Steinstaub – mit einer Absauganlage ausgestattet ist. Der erwähnte CNC-Roboter ist in einem separaten, ebenfalls zweigeschossigen Raum im Anschluss untergebracht. Mit einer ziemlich aufwändigen Anlage zum Sammeln und zur Filterung von Abwasser konnte der sonst in Steinbetrieben immense Wasserverbrauch deutlich gesenkt werden. Die Richtung der Glasfassade über dem Sockel nach Norden und die Oberlichter im Dach bescheren den Arbeitsplätzen ein fast schattenfreies Licht. Wobei das Profilglas der Fassade aus dem Wunsiedler Ortsteil Holenbrunn vom Hersteller Lamberts stammt. Im Obergeschoss befinden sich Lehrräume, Umkleide- und Sanitärräume sowie das Büro des Schulleiters. Der Flur öffnet sich mit einer Glaswand zur Halle und fungiert zugleich als Ausstellungsfläche.

In den Vitrinen werden besonders gelungene Werkstücke zur Schau gestellt, diese haben im Flurbereich mit ihrer Vorbildfunktion einen pädagogischen Effekt und bilden einen sichtbaren Ansporn bei der eigenen Arbeit im Hallenbereich. Alle Oberflächen sind – bis auf die Fassade – unverkleidet, Kuchenreuther legte großen Wert auf die ruppige Ästhetik des Handwerks. Und er machte seiner alten Ausbildungsstätte noch ein Geschenk: Die Kosten für das neue Gebäude, das im Mai 2018 – 30 Jahre nach seiner Gesellenprüfung – eröffnet wurde, blieben unter der veranschlagten Schätzung – Heimkehr und Geschenk in einem.

„Da es sich bei der neuen Werkhalle um eine Erweiterung des Gebäudekomplexes handelt, haben wir die Proportionen sowie die Materialität der bestehenden Gebäude aus der Mitte des letzten Jahrhunderts aufgegriffen und neu interpretiert. Hierdurch fügt sich die Werkhalle harmonisch und selbstbewusst in den Bestand ein, ohne als Pastiche zu wirken. Die Materialität ergibt sich aus naturbelassenen Texturen, die eine lebendige und plastische Oberfläche bewirken. Wie den in der Werkhalle arbeitenden Steinmetzen gelingt es, durch die Komposition der Oberflächen und Volumina ein stimmiges Ganzes zu schaffen.“
Marc Baltzer, Kuchenreuther Architekten Stadtplaner

STANDORT:
Marktredwitzer Straße 60
95632 Wunsiedel

BAUHERR:
Zweckverband „Europäisches Fortbildungszentrum fu?r das Steinmetz- und Steinbildhauerwerk“
Jean-Paul-Straße 9
95632 Wunsiedel

PROJEKTLEITER:
Johannes Klose