Zur Feier der einheimischen Flora und Fauna

Waldhaus, Mehlmeisel

Wenn frühmorgens Tau verdunstet, spätnachmittags vielleicht Nebel aufkommt, sich durch dichte Baumkronen nur noch Zwielicht wagt, erscheinen die dunklen Wälder des Fichtelgebirges noch düsterer, bizarre Felsformationen noch extravaganter. Und der Wanderer fühlt sich von Kobolden, Faunen und anderen Waldgeistern begleitet. In solch mystisch-unwirklicher Stimmung wird das Waldhaus Mehlmeisel zum Refugium. Obwohl nicht aus Stein, sondern ganz aus Holz gebaut, als ob es dem vieltausendstämmigen Fichtenwald entnommen wäre, ist das Gebäude gleichzeitig Burg und Tempel, letzte Zufluchtsstätte und himmelwärts gerichtete Inszenierung. Diesseitsfestigkeit und Entrückung zugleich. Eine Kathedrale zur Feier des Waldes, seiner Flora und Fauna. Eine Kathedrale aber auch zur Verherrlichung der Geschichte und der Geologie der Region, die nicht ganz zufällig und eingedenk großer Poeten wie Jean Paul oder Joseph Freiherr von Eichendorff, die in ihren Gedichten die hiesigen Höhenrücken besangen, auch „Zauberwelt Fichtelgebirge“ genannt wird.

Das „Waldinformationszentrum Waldhaus Mehlmeisel“, so seine offizielle Bezeichnung, liegt mit dem dazugehörigen Wildpark im Naherholungsgebiet „Bayreuther Haus“. Auf einer Anhöhe südwestlich der 1300-Seelen-Gemeinde Mehlmeisel, gut 810 Meter hoch, wird winters wie sommers vieles offeriert, was das Urlauberherz begehrt: Skilift, Langlaufloipen, Rodelbahn, Rad- und Wanderwege, ein großer Spielplatz, Kneippanlage und Teiche sowie mit dem 40 Meter hohen Klausenturm eine Aussichtsplattform, die einen beeindruckenden Blick zu den höchsten Gipfeln des Fichtelgebirges, aber auch in den Oberpfälzer und Steinwald bietet. Mit kontinuierlich 80.000 Besuchern pro Jahr tragen Waldhaus und Wildpark als Teil des Naturparks Fichtelgebirge zur Attraktivität dieser Region als Reise- und Urlaubsziel – neudeutsch: Destination – erheblich bei. Mit dem Granitlabyrinth Kirchenlamitz, der Infostelle Torhaus Schloss Leupoldsdorf, beide vom Architekturbüro Peter Kuchenreuther geplant, und weiteren sechs Einrichtungen ist das Waldinformationszentrum Mehlmeisel seit 2009 überdies zu einem Netzwerk von Umweltbildungseinrichtungen verbunden, das nicht nur Schulklassen, sondern auch Touristengruppen die beeindruckende Kulturlandschaft des Fichtelgebirges bunt und vielgestaltig nahebringt.

Was heute Publikumsmagnet ist, hat knapp und bescheiden angefangen. 1981 hatten die Bürger von Mehlmeisel auf einer Waldlichtung – direkt im Anschluss an ein Freigehege – ein kleines „Waldmuseum“ fertiggestellt. Ebenfalls eine Holzkonstruktion, in horizontaler Blockbauweise. Für den großen Besucheransturm und auch für neue technisch-didaktische Möglichkeiten zu beengt, entschloss man sich zur Jahrtausendwende ein neues Waldhaus zu bauen. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Initiative Euregio Egrensis konnte ein Spiegelprojekt im tschechischen Wintersportzentrum Bozi Dar verwirklicht werden. In Mehlmeisel, der Partnerstadt von Bozi Dar, entstand nach einem kleinen Architektenwettbewerb neben dem alten Waldmuseum, das nun als Archiv dient, ein Waldinformationszentrum. Der Grundstein wurde am 17. Mai 2004 gelegt, bereits ein halbes Jahr später das Richtfest gefeiert. Am 22. Juli 2005 konnte das neue Waldhaus Mehlmeisel – als erster Baustein einer später erweiterten Anlage – eröffnet werden.

Peter Kuchenreuther und sein Nürnberger Kollege Martin Schinner lieferten die Pläne für das Gebäude. Beide legten großen Wert darauf, das Waldhaus in seine Umgebung einzubinden – sowohl in Sachen Material als auch in Konstruktion und Anmutung. „Ein Haus im Wald – ein Haus für den Wald – ein Haus aus dem Wald“, brachten die Architekten ihr Konzept auf eine eingängige Formel. Den Auftakt für den Komplex bildet ein gestalteter Freiraum mit Weiher, gestapelten Holzscheiten und phantastisch geformten Granitbrocken, der Waldkante und Gebäude in Beziehung setzt. Zwischen altem und neuem Waldhaus wurde ein weiterer Freiraum geschaffen, der zunächst für die Wildbeobachtung genutzt wurde, seit einigen Jahren aber als Streichelzoo dient.

Der insgesamt 55 Meter lange Neubau ist dreigeteilt: Er besteht aus dem Hauptgebäude, einem Werkhof mit Terrasse sowie einem gedeckten Unterstand. In Letzterem können witterungsbeständige Gegenstände gelagert werden. Der Querschnitt offenbart eine weitere Dreiteilung, eine moderne Variation des Basilika-Grundrisses: Das Waldhaus ist in ein aufwärts strebendes Hauptschiff und zwei niedrige Nebenschiffe gegliedert. Östlich des Hauptschiffes befindet sich ein Laubengang, durch den das Gebäude mit behindertengerechten Rampen erschlossen wird. Um eine Analogie zum Wald herzustellen, verwendeten die Architekten für den Laubengang kräftige Holzstämme. Im westlichen Nebenschiff liegen die Nebenräume: Stuhllager, Sanitärräume, Medien- und Haustechnikraum sowie, von außen durch eine Glastür sichtbar, der Raum für die Heizung. Geheizt wird im Waldhaus mit Holzpellets, wie eine große Schautafel näher erläutert.

Im bis zu 8,50 Meter hohen Hauptschiff befindet sich der große Ausstellungsraum. Dieser steht wie die gesamte Anlage in der im Fichtelgebirge weit verbreiteten Tradition des Einfirsthofes. Das Dach hat die ortstypische Neigung von 53 Grad, die vom nahen, inzwischen denkmalgeschützten Einfirsthof in Grassemann abgeleitet wurde, der heute ebenfalls als Museum dient. Während für das Hauptschiff eine vertikale Verschalung aus unbehandelten, sägerauen Douglasienbrettern verwendet wurde, zeigen die Nebenräume einen Witterungsschutz aus Holzschindeln mit Nut und Feder. Mit solchen Schindeln wurden im Mittelalter in der Region die Dächer gedeckt, dann aber – der Beginn des Erzbergbaus im Fichtelgebirge reicht bis in die frühe Neuzeit – verwendete man Blechdeckungen. So stellt die Titanzinkblech-Deckung im neuen Waldhaus nicht nur eine ruhige homogene Fläche her und verbindet so die Baukörper optisch, sondern erinnert auch an eine frühe(re) Bauweise in dieser Landschaft. Die Verschalung, zur Eröffnung noch im gelb-orangen Farbton des frischen Holzes leuchtend, setzte binnen kurzem Patina an. Heute schimmert sie silbrig und näherte sich der Farbe der Dacheindeckung an. So dauerte es nicht lange, bis das Waldhaus in seiner Anmutung den traditionellen Häusern in der Region ähnelte.

Im Fichtelgebirge herrschen strenge Winter. Auch wenn man den Klimawandel inzwischen deutlich spürt, ist selbst noch in den ersten Maitagen Schnee auf den Höhen des Schneeberges oder des Ochsenkopfes nichts Besonderes. Das Tragwerk für das Waldhaus wurde so berechnet, dass es auch den statischen Erfordernissen großer Schneelasten entspricht. Die primäre Tragstruktur, aufgebaut auf eine als Fundament dienende Betonplatte, bildet eine Konstruktion aus Dreigelenk-Trägern, die aus Brettschichtholz bestehen. Für das sekundäre Tragwerk der Wände dagegen verwendeten die Architekten eine moderne Holzständerbauweise, die auch nötige Freiräume für Vitrinen und Schautafeln schafft. Regionaltypisch sollte das Waldhaus nicht nur in den erwähnten Kriterien sein, es sollte auch von regionalen Handwerkern gebaut werden können. Auf Präzision, dennoch unprätentiöse Einfachheit in der Ausführung und in den Details wurde deshalb großer Wert gelegt. Der eingestellte Raum mit Büro und Teeküche zum Beispiel ist ein Musterbeispiel an robuster Einfach- und Bescheidenheit, seine Funktion erfüllt er dennoch exzellent. Über zwei Tresen können bei Bedarf Ausstellungsraum und Freiraum gastronomisch versorgt werden. Weil dieser eingestellte Raum darüber hinaus auch eine Einschnürung bewirkt, teilt er optisch das Hauptschiff in Ausstellungs- und Seminar- bzw. Vortragsraum. Belichtet wird er, wie das ganze Gebäude, durch den glasgedeckten First mit natürlichem Licht.

Die Holzbinder wurden hell lasiert. Zusammen mit den weiß gestrichenen Wänden bilden sie einen neutral-homogenen Hintergrund für die Exponate. Um seiner Aufgabe als Umweltbildungszentrum erwachsener Besuchergruppen, aber auch Schulen und Kindergärten gerecht zu werden, wurde für das Waldhaus ein Multimediakonzept entwickelt. Der geologische Aufbau und die Gesteinsarten, die Stoffkreisläufe und Lebewesen im Wald, die Holzwirtschaft und teilweise schon ausgestorbene Berufe – eine Reihe von Themen und Aspekten der einzigartigen Landschaft Fichtelgebirge werden berührt und erläutert. Damit die dargebotenen Informationen kein staubtrockenes, bald wieder vergessenes Buchwissen bleiben, vermitteln Schaumikroskope, Akustikglocken, Duftorgeln, Tastmulden, Filme und ein putziges, aber sorgfältig ausgestattetes Walddiorama vielfältige sinnliche Eindrücke. Der Wald lebt – auch und gerade im Waldhaus Mehlmeisel. Austritte, mal raumhohe, mal querformatige Fenster zwischen Vitrinen und Exponaten bieten immer wieder Gelegenheit, die gewonnenen Erkenntnisse mittels eines gerahmten Blickes in den Wald zu überprüfen.

Die Architektur des Waldhauses mit ihren abwechslungsreichen Verknüpfungen und Verschränkungen zwischen Innen und Außen, zwischen Natur und Kultur ist selbst Ausstellungsstück. Wie sich heimisches Holz ver- und mit Raffinesse aufwerten lässt, demonstriert das Gebäude in Form und Inhalt, der sich nicht nur auf die Exponate beschränken lässt. Sei es das elegante Mobiliar aus MDF-Platten, sei es der Bodenbelag aus Eichenlamellenparkett, sei es der riesige Kamin aus blauem Kösseine-Granit, der das Waldhaus bei Bedarf mit einem offenen Feuer zusätzlich erwärmt. Das Konzept und die Ausführung des Waldhauses sind überzeugend, das Gebäude ist der Aufgabe angemessen, ansprechend und originell.

STANDORT:
Waldhausstraße 100
95694 Mehlmeisel

BAUHERR:
Gemeinde Mehlmeisel
Rathausplatz 1
95694 Mehlmeisel

PROJEKTTEAM WALDHAUS:
Martin Schinner, Nu?rnberg,
Kuchenreuther Architekten Stadtplaner

PROJEKTLEITERIN WILDPARK:
Beatrice Busch